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Aufmerksamkeit ist einfach alles

Ein US-amerikanischer Internetsuchdienst-Riese sponsert das „YouTube Space Berlin“, wo junge ProduzentInnen ihre Filmchen für Blogs und andere Internetkanäle in immer anderen Kulissen drehen, dann schneiden und bearbeiten können. Ein Studiobesuch.

„Wenn ich mal was Au­ßer­ge­wöhn­li­ches ma­chen will oder ei­ne gro­ße Schwei­ne­rei, dann kom­me ich hier­her“, lacht Me­lis­sa Lee. Heu­te ist „Film Hack Day“: Er­folg­rei­che YouTuber dre­hen in Teams Vi­de­os, am En­de wählt ei­ne Ju­ry das bes­te aus. „Wir ha­ben ein­fach ein paar Leu­ten, die schon öf­ters hier wa­ren, ei­ne Mail ge­schrie­ben, ob sie Bock ha­ben“, er­klärt Ro­bert Leh­mann, Pres­se­spre­cher des YouTube-Stu­dio Ber­lin, die Aus­wahl.

Lee ist von zier­li­cher Sta­tur und trägt ei­nen brau­nen Po­ny, ih­re lan­gen, glat­ten Haa­re en­den in grel­lem Pink. Die Mo­de­de­si­gne­rin hat am Ge­sund­brun­nen ei­nen klei­nen La­den. Dort dreht sie nor­ma­ler­wei­se ih­re ­Tutorials – An­lei­tun­gen, wie man ei­ne See­len­stein­ket­te bas­telt, ei­nen Licht­er­haar­reif her­stellt, sei­nen Dutt mit Per­len be­stickt oder ein „Mine­craf­t“-Kis­sen näht [„Mine­craf­t“ ist ein In­die-Open-World-Spiel, Anm. d. Red.]

Das En­de April letz­ten Jah­res er­öff­ne­te YouTube-Stu­dio Ber­lin ist der sechs­te „Space“ welt­weit – ne­ben Los An­ge­les, Lon­don, To­kio, New York und São Pau­lo. „Crea­tor“ wie Me­lis­sa Lee mit min­des­tens 1.000 Fol­lo­wern kön­nen hier von Don­ners­tag bis Sams­tag bu­chen und kos­ten­los ein paar Stun­den Vi­de­os dre­hen, schnei­den und be­ar­bei­ten.

Von Mon­tag bis Mitt­woch nutzt Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner Met Film School von ne­ben­an das his­to­ri­sche Ge­län­de an der Tem­pel­ho­fer Ober­land­stra­ße, auf dem vor über 100 Jah­ren die deut­sche (Stumm-)Film­ge­schich­te be­gann – ähn­lich schrill, kurz und un­ter­halt­sam wie heu­te die In­ter­net­film­pro­du­zen­ten. Jetzt muss man ne­ben Vi­deo­ide­en nur ei­ge­ne Re­qui­si­ten oder Schmin­ke selbst mit­brin­gen. Die Toch­ter­ge­sell­schaft von Goog­le stellt da­für die zeit­ge­mäß aus­ge­stat­te­ten Räu­me in­klu­si­ve Ku­lis­sen, Ka­me­ras, Schnei­de­tech­nik und tech­ni­scher Hil­fe zur Ver­fü­gung.

Pro­fes­sio­nel­le­re Fil­me

Auch wer­den Work­shops an­ge­bo­ten, an de­nen je­deR In­ter­es­sier­te teil­neh­men kann – un­ab­hän­gig von der An­zahl sei­ner Sub­scri­ber, zu Deutsch Abon­nen­tIn­nen: Wie ge­he ich mit ei­ner Ka­me­ra um, ar­bei­te mit pro­fes­sio­nel­len Schnitt­pro­gram­men oder ent­wick­le krea­ti­ve Vi­deo­ide­en? Ziel ist, die Pro­duk­tio­nen mit we­nig Auf­wand deut­lich pro­fes­sio­nel­ler zu ma­chen, da­mit mehr Leu­te die Film­chen an­schau­en.

Me­lis­sa Lee zum Bei­spiel hat 50.000 Fol­lo­wer, vor al­lem jun­ge Frau­en zwi­schen 18 und 24 Jah­ren. „Al­so eher noch nicht so vie­le“, sagt die 26-Jäh­ri­ge und lä­chelt. Mit der im Clip plat­zier­ten Wer­bung kann man in­zwi­schen auch Geld ver­die­nen. Ei­ne kon­kre­te Aus­sa­ge, wie gut sich da­von le­ben lässt, gibt es aber nicht. Das kom­me halt auf meh­re­re Fak­to­ren an, sagt Lee: bei­spiels­wei­se die Zahl der Abon­nen­tIn­nen, die An­zahl der Klicks – oder wie schnell die Wer­bung weg­ge­klickt wird.

Im Haupt­ge­bäu­de des „YouTube Space Ber­lin gibt es ver­schie­de­ne Lo­ca­ti­ons, in de­nen ge­dreht wer­den kann. Die Ku­lis­sen wech­seln et­wa vier­tel­jähr­lich. Zur­zeit sind es ein „Ho­tel­zim­mer“ und die „Ber­lin Bar“ (sie­he Fo­tos). Und dann ist da das gro­ße Stu­dio: ein rie­si­ger Raum in der Di­men­si­on ei­ner Turn­hal­le, an der dunk­len De­cke Brü­cken, an de­nen Schein­wer­fer und Laut­spre­cher hän­gen. Zen­tral ist der so­ge­nann­te Green Screen, ei­ne Flä­che, auf die Ani­ma­tio­nen pro­ji­ziert wer­den kön­nen. Dort in­sze­nier­te Me­lis­sa Lee ih­re Mo­de zur letz­ten Fa­shion Show in ei­ner Un­ter­was­ser­welt. Pres­se­spre­cher Leh­mann kommt rich­tig ins Schwär­men, als er von den Qual­len be­rich­tet, die von der De­cke hin­gen.

Der Flur zweigt ab in die Com­mu­ni­ty Kit­chen – ein hel­ler Raum mit qua­dra­ti­schen Ti­schen, ei­ner Kü­chen­zei­le, Snack- und Ge­trän­ke­au­to­ma­ten, aus de­nen sich je­deR gra­tis be­die­nen kann. Ein paar Leu­te im Stu­den­ten­al­ter sit­zen auf den höl­zer­nen Ho­ckern und klap­pern mit ih­ren „Ap­fel“-Note­books. Vor den gro­ßen Fens­tern ist ein klei­ner Buf­fet­tisch auf­ge­baut, dar­über ein Free Wi­Fi-Schild. Je­mand reckt die Na­se: „Es riecht, als wä­re das Mit­tag­es­sen bald fer­tig!“

Farb­bom­ben in Pink

Es gibt noch viel mehr Räu­me im YouTube-Stu­dio Ber­lin, bei­spiels­wei­se den Scree­ning Room für Work­shops, der ist voll­ge­packt mit Com­pu­ter­ar­beits­plät­zen und Whi­te­board. Der Con­fe­rence Room ist für Dis­kus­sio­nen, Mee­tings und Brain­stor­mings da. Und schließ­lich die Mas­ke: Drin­nen hän­gen über dem lan­gen Schmink­tisch drei Spie­gel, de­ren Rah­men mit run­den Lämp­chen be­stückt sind, dar­un­ter ein paar ver­ges­se­ne Na­gel­la­cke und Lid­schat­ten ne­ben ei­nem las­ten­ge­beug­ten Klei­der­stän­der.

Am En­de des Rund­gangs drau­ßen auf ei­ner stau­bi­gen Bank: Was Me­lis­sa Lee mit „gro­ßer Schwei­ne­rei“ meint, wird ei­nem bei ih­rem Clip klar, in dem sie ei­ne bon­bon­bun­te Tor­te vom Tisch schleu­dert, Farb­bom­ben in schrills­ten Pink­tö­nen an die Wand klatscht und Glit­zer­flo­cken drü­ber­pu­dert. Pas­siert hier ge­ra­de die nächs­te Ki­no­re­vo­lu­ti­on? De­ren Merk­mal wä­re dann, dass po­li­ti­sche oder künst­le­ri­sche Bot­schaf­ten un­wich­tig sind – al­les, was zählt, ist der er­reich­te Auf­merk­sam­keits­grad.

Vi­de­os von Me­lis­sa Lee

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