„Reinickendorf, an der Grenze zu Wedding. Ich will in einen Laden – es gibt keine Möglichkeit, das Fahrrad anzuschließen, und ich hab nur so ein kleines Schloss“, erzählt Valeriy Leibert. Seit 2010 ist der 24-jährige Schöneberger als Fahrradkurier täglich auf Berliner Straßen unterwegs. Er schließt sein Bike also einfach ab und lehnt es gegen die Fensterscheibe eines Friseursalons.
„Wird schon nix passieren“, denkt er und verlässt sich darauf, dass der Betrieb im Friseursalon sein Fahrrad schützt. Leibert geht kurz in einen benachbarten Laden, gibt dort etwas ab. Als er wieder auf die Straße tritt, ist das Rad weg, erzählt er – immer noch wütend. „Ich denk, mich tritt ein Pferd, wo ist das verdammte Fahrrad?!“
Im Friseursalon sagen sie ihm: „Ach, das war deins!? Da waren zwei Typen, der eine selber auf einem Fahrrad, der andere zu Fuß – der hat sich dein Bike geschultert, hat sich bei dem anderen auf den Gepäckträger gesetzt und weg waren sie!“ – „Und warum habt ihr nichts gemacht?!“ – „Ja wir müssen doch arbeiten.“ Leibert ruft sofort die Polizei. „Aber die Diebe sind natürlich längst auf und davon.“ Die Beamten sind keine große Hilfe: „Wir können hier mal um den Block fahren, und wenn wir es zufällig wiederfinden, ja …“, sagen sie. „Das passiert täglich so hundert Mal in Berlin. Wir können da auch nicht viel machen.“
Hauptstadt der Fahrraddiebe
2014 sind die Zahlen der als gestohlen gemeldeten Velos regelrecht explodiert: Rund 31.000 Fahrraddiebstähle gab es in Berlin – das sind 84 pro Tag und über 4200 Delikte mehr als im Vorjahr. Hinzu kommt, dass durchschnittlich 96 von 100 gestohlenen Rädern spurlos verschwunden bleiben. Zum Vergleich: Bei Kfz-Diebstahl werden zwölf Prozent der Fälle aufgeklärt. Die bundesweite Aufklärungsquote für Fahrraddiebstahl liegt bei knapp zehn Prozent. Wegen der niedrigen Aufklärungsquote ersparen sich viele Berliner den Aufwand und zeigen einen Diebstahl gar nicht erst bei der Polizei an. Experten gehen deshalb von einer hohen Dunkelziffer aus.
Besonders in Mitte (4125 Fälle), Friedrichshain-Kreuzberg (4062) und Pankow (4059) ist das Risiko hoch, dass ein Rad gestohlen wird. Verhältnismäßig sicher sind Zweiräder in Marzahn-Hellersdorf (836) und Spandau (812). Das geht aus der Antwort von Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Andreas Baum (Piratenpartei) hervor.
Nach Valeriy Leiberts Erfahrungen sind außerdem Fahrradstellplätze an Bahnhöfen besonders gefährdet – „auch am helllichten Tag“, sagt er. Das bestätigt die Antwort auf eine weitere parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Stefan Gelbhaar und Benedikt Lux (Grüne) vom vergangenen Jahr. Demnach wurde 2013 rund jedes zehnte Rad (knapp 2600) an einem Bahnhof gestohlen – 1911 an S-Bahnhöfen, 458 an U-Bahnhöfen. Die drei am stärksten betroffenen S-Bahnstationen sind Adlershof (87), Treptower Park (81) und Hermsdorf (72). Die drei riskantesten U-Bahnhöfe: Pankow (45), Hönow (39) und Biesdorf-Süd (37).
Andreas Baum von der Piratenpartei fordert jetzt eine Sonderermittlungsgruppe, die sich speziell um Fahrraddiebstahl kümmert. Bei Delikten wie bei Graffiti gebe es solche „Sokos“ schließlich auch.
Doch jeder kann mit einfachen Mitteln den Dieben das Leben etwas schwerer machen. Das Wichtigste ist einfach ein gutes Schloss. „Die Faustregel für den Preis des Fahrradschlosses lautet zehn Prozent vom Wert des Bikes“, so Valeriy Leibert. Auch ihm ist es schon passiert, dass Billigschlösser im Winter „zufrieren“ oder schlicht der Mechanismus ausleiert. Dann bleibe beispielsweise der Schlüssel stecken oder man bekomme das Ding aus anderen Gründen nicht mehr auf. „Dann darf man sein eigenes Schloss aufsägen“, sagt er.
Wenn man das Fahrrad länger draußen anschließt, empfiehlt Valeriy Leibert ein gutes Bügelschloss. Um das kleinzukriegen, müssten die Diebe schon mit Riesenwerkzeugen ankommen. Das Problem ist allerdings, dass diese Varianten recht unpraktisch sind: Bügelschlösser sind unhandlich, schwer und mit etwa 70 Euro teuer. Für das „Kurz-mal-Anschließen“ reiche deshalb auch ein dickeres Spiralschloss.
Aber auch das beste Schloss nutzt nichts, wenn man das Velo nicht an einem Bügel, Laternenmast oder Ähnlichem festkettet, sondern es nur irgendwo hinstellt und abschließt. Denn dann können Diebe das geliebte Stück, wie in Leiberts Fall, einfach schultern und davontragen. Die sicherste Methode seien die sogenannten Bügel – die stählernen Anlehnparker, die an Bahnhöfen und in vielen Hinterhöfen stehen. Aber auch an ihnen sollte man niemals nur das vordere Rad anketten, ohne den Rahmen miteinzuschließen. Das kann der Dieb herausnehmen und am Ende lehnt am Bügel nur noch das Vorderrad mit dem Schloss.
Man kann sein Fahrrad auch codieren, also mit einer Nummer und einem auffälligen Aufkleber identifizierbar machen lassen. Dafür bietet die Polizei ab August in der ganzen Stadt wieder verschiedene Termine an, demnächst in Pankow. Sonnabend, 8. und 22. August, 10–18 Uhr, in der Ostseestraße, Sonnabend, 15. August, 10–18 Uhr in der August-Lindemann-Straße. Weitere Termine sind Im Internet unter www.berlin.de/land/kalender/?c=63 zu finden. Zur Codierung müssen ein Eigentumsnachweis, wie ein Kaufbeleg oder die Rechnung, und ein Ausweisdokument vorgelegt werden.
Anschließend erhält man einen Fahrradpass von der Polizei. Darin können Fotos und Beschreibungen des Fahrrads vermerkt werden. Den Pass gibt es auch als Smartphone-App für iOS und Android sowie zum Ausdrucken online unter www.fahrrad-diebstahlschutz.com/service/fahrradpass-druckversion.htm) Weitere Informationen dazu im Internet: www.berlin.de/polizei/service/fahrradcodierungen/
Schlösser auf dem Smartphone
Ein Berliner Start-up namens CLYC bastelt zur Zeit an einem Fahrradschloss, das sich mit dem Smartphone öffnen lässt – außerdem erkennt das im Fahrradrahmen angebrachte „Lock8“, wenn ein Dieb versucht, das Rad zu bewegen, das Kabel zu durchtrennen oder das Schloss mit einem schweren Gerät vom Rahmen zu lösen. Und selbst wenn er es dennoch schafft, mit dem Rad zu flüchten – mithilfe der GPS-Signale, die „Lock8“ ununterbrochen aussendet, lässt sich der Täter fassen und man hat das Fahrrad schnell zurück.
Neben dem eigentlichen Schloss ist außerdem auch ein Abo-Modell für knapp zwei Euro im Monat mit Zusatzfunktionen geplant. „Das Start-up aktiviert dann die SIM-Karte im Schloss. So können die Kunden ihr Fahrrad jederzeit orten, erhalten bei versuchten Diebstählen auch sofort Alarmmeldungen auf ihrem Smartphone und können ihr Fahrrad per Lock8-App auch mit geringem Risiko verleihen.“ Mehr Infos im Internet unter www.lock8.me
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